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Teil 2. Haben oder Schulden - Kapitel 4

Pay-Gap oder Pension-Gap, das ist die Frage

Mich treibt seit einiger Zeit eine Frage um: Es geht um die Gehalts- und Rentenunterschiede zwischen Männern und Frauen – also darum, wie viel mehr man je nach Geschlecht verdient, wie viel mehr man je nach Geschlecht am Ende des Lebens zur Verfügung hat und was von beidem relevanter ist mit Blick auf

Beinahe wöchentlich wird von Statistiken berichtet, die belegen, dass Frauen nach wie vor weniger verdienen als Männer. Man muss zwar (wie bei jeder Statistik, die man nicht selbst gefälscht hat) immer genau schauen, welchem Ziel die jeweilige Erhebung dient. Die einen wollen die Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern möglichst kontraststark herausstellen und so auf eine gesellschaftliche Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern hinweisen. Die anderen wollen belegen, dass die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen abgenommen hat, und ziehen dafür die sinkenden relativen Einkommensunterschiede als Beispiel heran. Dadurch wollen sie unterstreichen, dass wir auf dem richtigen Weg sind, aber trotzdem noch einige Hausaufgaben zu erledigen haben. Und irgendwo dazwischen liegt wahrscheinlich wie so oft die Wahrheit. Alle Positionen haben eine gewisse Berechtigung – sowohl die kritischen als auch die optimistischen. Man sollte sich ihrer nur bewusst sein, wenn man in den Zeitungen darüber liest. Ich habe die beiden Definitionen zusammengefasst, um die es geht.

Der unbereinigte Gender-Pay-Gap: Dafür werden die Brutto- Einkommen von Männern und Frauen gegenübergestellt und die prozentualen Unterschiede berechnet. In Deutschland verdienen Frauen aktuell rund 19 Prozent weniger als Männer. Das heißt: Das durchschnittliche Einkommen aller arbeitenden Frauen ist um ein Fünftel niedriger als das aller arbeitenden Männer. Deutschland liegt damit etwas unter dem Durchschnitt der OECD-Mitgliedsstaaten. Da beträgt der Unterschied derzeit 17 Prozent.

Der bereinigte Gender-Pay-Gap: Dafür werden von den Brutto- Einkommen von Männern und Frauen die strukturellen Unterschiede der Einkommensunterschiede herausgerechnet. Man schaut zum Beispiel auf Ausbildungsgrad, Beruf, Qualifikation, Arbeitserfahrung und Wirtschaftsbranche ebenso wie auf den Anteil an Vollzeit- und Teilzeitstellen. Bereinigt um die spezifischen Unterschiede verdienen Frauen in Deutschland aktuell zwischen 2 und 7 Prozent weniger als Männer – je nach Beruf, Branche und Qualifikation. Das heißt: Eine Rechtsanwältin im Alter von 40 Jahren verdient zwischen 2 und 7 Prozent weniger als ein vergleichbarer Rechtsanwalt gleichen Alters; eine Friseurin im Alter von 30 Jahren in Teilzeit verdient 2 bis 7 Prozent weniger als ein vergleichbarer Friseur gleichen Alters in Teilzeit.

An dem unbereinigten ebenso wie an dem bereinigten Pay- Gap gibt es mit Recht Kritik. So sagen die Bereinigungen, die vorgenommen werden, mitunter selbst bereits etwas über geschlechterspezifische Ungerechtigkeiten aus. Kann es zum Beispiel sein, dass bestimmte Berufe schlechter bezahlt werden, weil diesen Berufen überdurchschnittlich viele Frauen nachgehen? Oder umgekehrt: Kann es sein, dass Männer Berufe, die schlechter bezahlt werden, meiden und Frauen keine andere Wahl haben, als diese Berufe zu ergreifen? Beide Fälle thematisieren eine bestimmte Ungerechtigkeit, die sich durch bloßes Herausrechnen oder Bereinigen nicht lösen lässt.

Auf der anderen Seite ist auch der unbereinigte Pay-Gap nicht ohne Weiteres aussagekräftig. Frauen ziehen soziale Berufe vor und können sich darin häufig verwirklichen. Auch entscheiden sich viele Frauen oftmals freiwillig dafür, in Teilzeit zu arbeiten. Diese freiwilligen Lebens- und Berufsentscheidungen lässt aber der unbereinigte Pay-Gap grundsätzlich außer Betracht. Auch das wird häufig kritisiert.

Ob unbereinigt oder bereinigt: Der Blick auf den Pay-Gap sagt, wie ich finde, noch nicht genug über die finanzielle Situation von Frauen aus. Unabhängig davon, ob Frauen zwischen 2 und 7 Prozent weniger Einkommen haben als Männer oder ob sie 19 Prozent weniger verdienen. Wichtig ist zudem der Blick auf den Pension-Gap, der aus dem Pay-Gap folgt – und der Pension- Gap bleibt in beiden Fällen mehr als ernüchternd.

Diese drei Pay-Gaps müssen Sie kennen: Der unbereinigte Gender-Pay-Gap: Hierfür vergleicht man das durchschnittliche Brutto-Einkommen von Männern mit dem durchschnittlichen Brutto-Einkommen von Frauen, ohne Teilzeit, Praktika, Ausbildungen und geringfügige Beschäftigungsverhältnisse zu berücksichtigen.

Der bereinigte Gender-Pay-Gap: Hierfür vergleicht man die Brutto-Einkommen von Männern und Frauen in Berufen und Positionen mit vergleichbaren Eigenschaften. Man schaut also zum Beispiel, wie groß der Verdienstunterschied zwischen einem Arzt und einer Ärztin mit zehn Jahren Berufserfahrung ist.

Der Gender-Pension-Gap: Hierfür vergleicht man die Rentenund Pensionsansprüche von Frauen und Männern. Berücksichtigt werden die unmittelbaren Renten und Pensionen sowie die private Altersversorgung.

Die schwerwiegendste Folge des Einkommensunterschieds zwischen Männern und Frauen ist, dass Frauen am Ende des Lebens weitaus weniger Geld zur Verfügung haben als Männer. Die Einkommensunterschiede während des Erwerbslebens werden jahrzehntelang kompensiert durch ein partnerschaftliches Einkommen, häufig auch weiterhin durch die klassische oder semi- klassische Rollenverteilung.

Allein, dass heutzutage noch darüber debattiert werden muss, wie Frauen in Führungspositionen ihren Beruf mit ihrer Rolle als Mutter in Einklang bringen sollen, wirkt auf mich überholt. Warum haben Mütter immer eine Rolle als Mutter und berufstätige Frau auszufüllen, während Männer berufstätig und Väter sind? Niemand spricht davon, dass ein Vater eine Rolle als berufstätiger Mann einnimmt, aber es heißt häufig, dass Mütter verschiedene Rollen haben: mal als berufstätige Frau, mal als Mutter – oder noch deutlicher: man spricht gleich von berufstätigen Frauen oder berufstätigen Müttern. Ob das typisch deutsch ist oder nicht, weiß ich nicht. Das gehört auch gar nicht hierher. Klar ist aber, dass diese Typologisierung dazu führt, dass es Frauen am Ende des Lebens deutlich schlechter geht als Männern. Monetär ausgedrückt nennt man diesen Rentenunterschied zwischen Männern und Frauen Gender-Pension-Gap.

Laut Bundesregierung liegt der Rentenunterschied zwischen Männern und Frauen aktuell bei monatlich 425 Euro. Das ist angesichts der Tatsache, dass die durchschnittliche Rente einer Frau 982 Euro beträgt, sehr viel. Frauen haben schon per definitionem mehr als ein Drittel weniger Geld im Alter zur Verfügung als Männer – das ist deutlich mehr als die 2 bis 7 oder die 19 Prozent, von denen wir vorhin mit Blick auf den Pay-Gap sprachen. Im Klartext bedeutet das: Frauen weisen – aus welchen Gründen auch immer – weitaus schlechtere Einkommenskarrieren auf. Gerade diese aber sind Ursache für die noch geringere Rente, die sich vor allem an der Anzahl der Beitragsjahre in der Rentenversicherung bemisst.

Wir kommen gerade der Sache ziemlich nahe, die mich stört, und aus der wir gemeinsam einen Ausweg suchen müssen. Viele Frauen verzichten – freiwillig, unfreiwillig, partnerschaftlich vereinbart, partnerschaftlich gedrängt, von den Eltern, von den Freunden und Freundinnen, von wem auch immer dazu ermuntert – auf Geld im Alter, weil sie sich für mehrere Jahre aus dem Erwerbsleben ausklinken und dann häufig nur in Teilzeit zurückkehren. Frauen werden schwanger und gehen in Mutterschutz, Frauen nehmen Elternzeit. Der Anteil an Frauen in Elternzeit, deren jüngstes Kind unter drei Jahren ist, lag im Jahr 2019 bei 42,2 Prozent; der Anteil an Männern in Elternzeit bei 2,6 Prozent. Selbst wenn der Anteil an Männern, die Elternzeit nehmen und sich für Teilzeitarbeit zugunsten ihrer Partnerinnen entscheiden, steigt, wird es weiterhin so bleiben, dass die Mehrzahl der Frauen sich um Familie und Kinder kümmern. Vom Kinderkriegen ganz zu schweigen.

Sollen Frauen wirklich auf das verzichten, was ihnen am Herzen liegt: die Ausübung von bestimmten Berufen, die Fürsorge für ihre Kinder? Ist der einzige Ausweg, dass sie das aufgeben, was sie zu Frauen macht, damit sie finanziell unabhängig werden? Oder umgekehrt: Sollten Frauen sich, wie es manche propagieren, vollends in die ökonomische Abhängigkeit von ihrem Partner begeben und tradierte Rollen wiederbeleben? Ich halte das nicht für den richtigen Weg.

Für mich steht dabei fest: Es gibt eine Antwort, die zwar nicht alle Probleme von Pay-Gap und Pension-Gap lösen kann, aber individuell einen Schritt in Richtung mehr Altersunabhängigkeit von Frauen ermöglicht. Ich schlage Ihnen vor, weniger auf das Einkommen und die damit verbundenen unbereinigten und bereinigten Ungerechtigkeiten zu achten, sondern vielmehr darauf, wie Sie für sich diese Lücke ausgleichen.

Vielleicht gehören Sie zu jener Berufsgruppe, deren weibliche Angehörige bereinigt lediglich 2 oder 3 oder 4 Prozent weniger Einkommen haben als ihre männlichen Konterparts. Wollen wir jetzt diese wenigen Prozent im Erwerbsleben jenen 35 Prozent Einkommensunterschied im Alter gegenüberstellen? Das Lamento wird Ihnen persönlich nicht weiterhelfen, und genau darauf kommt es an.

Hören Sie auf, darauf zu warten, dass jemand anderes das Problem Ihrer drohenden Altersarmut löst. Dieses Problem ist so lange vorprogrammiert, wie Sie nicht selbst aktiv werden. Angenommen, Sie beklagen sich jahrzehntelang – na und? Ihnen persönlich wird dadurch nur wenig geholfen sein, weil Sie die Ihnen zur Verfügung stehenden Mittel nicht genutzt haben. Und diese Mittel gibt es, selbst wenn sie einige Prozentpunkte niedriger ausfallen, als es wirklich gerecht wäre. Aber mir geht es nicht darum, das Leben gerechter zu machen. Mir geht es darum, dass Sie das Leben für sich besser machen. Wenn das dann auch zu mehr Gerechtigkeit führt, umso besser! Anders und vielleicht ein wenig diplomatischer formuliert hat das eine führende deutsche Bankerin: »Frauen sollten bei der Altersvorsorge einen gesunden Egoismus entwickeln und regelmäßig Geld für sich selbst anlegen, damit sie finanziell unabhängiger werden.« Na also, da haben wir es: Seien wir Frauen ein wenig egoistischer – und zwar wenn es ums Geld geht!